Die Begründung einer lutherischen Hagiographie im 16. Jahrhundert stand vor dem Problem, dass ihr Luthers scharfe Ablehnung der Heiligenverehrung und die Herabsetzung der Legende als „Lügende“ vorausgegangen waren. Vor ähnliche Schwierigkeiten sahen sich die protestantischen Türkenpredigten gestellt: Die Predigten zum „Krieg wider den Türken“ widersprachen Luthers früherer Positionierung gegen die päpstlichen Aufrufe zum Türkenkreuzzug. Auf beiden Feldern war es deshalb für die protestantische Seite in den konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts nicht leicht, den Wandel ihrer Positionen zu legitimieren. Beide Felder waren für die Selbstpositionierung als wahre Vertreter des christlichen Glaubens aber zu zentral, um sie allein der katholischen Kirche zu überlassen, die sich mit den Heiligenlegenden als Hüterin von Heilskapital und mit den Predigten gegen die Türken als Verteidigerin des Christentums inszenieren konnte. Das Projekt stellt von daher die Frage, welcher Mittel sich die protestantische Seite bediente, um eine eigene hagiographische Tradition zu begründen, und in welcher Weise sie sich in den Türkenpredigten als wahre Verteidigerin der Christenheit gegen die Ungläubigen zu inszenieren versuchte. Daran anschließend wird untersucht, wie die katholische Seite die Ausprägung einer protestantischen Hagiographie bekämpfte und wie sie die lutherische Beurteilung der osmanischen Expansion und deren Verbreitung in Predigten konterte. Der Arbeitsbereich A untersucht die Transformation hagiographischen Erzählens in den lutherischen Sammlungen von Martyriums- und Bekennerhistorien sowie Heiligenkalendarien in Abgrenzung von den katholischen Legenden. Der Arbeitsbereich B analysiert die Verschränkung von invektiver Kommunikation über einen Dritten in Verbindung mit wechselseitigen Invektiven in den lutherischen und katholischen Türkenpredigten. Der Arbeitsbereich C widmet sich einerseits den katholischen Invektiven gegen die ‚Heiligung‘ Luthers als Gegenpol zu seiner scharfen Kritik an der katholischen Heiligenverehrung und andererseits Luthers Herausgabe und Kommentierung der Koranübersetzung des Dominikaners Ricold von Montecroce als Beispiel für die Rezeption und Transformation katholischen ‚Wissens‘ über den Islam. Das beantragte Projekt will damit der Transformation zweier zentraler Gattungen religiöser Kommunikation unter dem Druck wechselseitiger Herabsetzungen und der Frage nach den Effekten von Invektivität für die Entwicklung religiös geprägter Gattungen im 16. Jahrhundert nachgehen.
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